Das gute Leben in den Veedeln, Gutes Leben, Mobilität, Superblocks
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Superblocks: Was wir von Barcelona lernen können

Foto: Hannah Walther, 2022

Mehr Lebensqualität in der Stadt an jedem einzelnen Tag? Die Superblocks in Barcelona versprechen das gute Leben. Die Kölnerin Hannah Walther studiert momentan in Barcelona sie berichtet von den Erfahrungen, die die Stadt mit Superblocks und ähnlichen Konzepten gemacht hat.

Wo vierspurige Straßen die Wohnviertel mit Motorenlärm und Abgasen füllten, flanieren heute Menschen entspannt auf der Straße. Sitzgelegenheiten laden zur gemütlichen Pause ein, Blumenbeete mit üppigem Grün der Sträucher, Kräuter und Blumen ergänzen die einladende Atmosphäre. Nachbar:innen kommen ins Gespräch, Kinder spielen auf der Straße, das Zwitschern der Vögel erfüllt die Luft.

Wovon man in Köln und vielen anderen Städten nur träumen kann, ist in der katalanischen Hauptstadt Barcelona, aber auch in  Vitoria-Gasteiz im Baskenland und anderen Städten bereits Realität. „Superblocks“, „Superillas“ und „Ejes Verdes“ transformieren das Stadtbild und erhöhen die Lebensqualität der Bewohner:innen. „Let’s fill the streets with life“ –  Lasst uns die Straßen mit Leben füllen – ist der Slogan des Superblock-Programms der städtischen Regierung Barcelonas.

Klingt super – aber was genau steckt hinter dem Konzept der Superblocks? Wer hat sie in den spanischen Städten durchgesetzt und welche Voraussetzungen braucht es dafür?

Eine kurze Geschichte der Superblocks

Verkehrsunfälle, Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und ein Mangel an Grünflächen: Die entscheidenden Gründe für das Umdenken in Barcelona sind wohl in den meisten Großstädten bekannt. Die Stadt hat seit den 1990er Jahren erkannt, dass die Mehrzahl der Bewohner:innen einer Lärmbelastung ausgesetzt ist, die die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich übersteigt.

Auslöser war die Suche nach einer Lösung für die enorme Lärmbelastung in Barcelona in den 1990er-Jahren. Verkehr und Mobilität waren dabei der zentrale Ausgangspunkt. Rasch rückten der öffentliche Raum, seine Gestaltung und die mögliche Verbindung mit einem ökologischen Planungsmodell in den Mittelpunkt. Erste Pilotprojekte wurden im Jahr 1993 und 2006 verwirklicht“

Cynthia Echave der Agencia de Ecologia Urbana de Barcelona im VCÖ-Magazin

Die Agencia de Ecologia Urbana de Barcelona (Agentur für Urbane Ökologie) hat das Superblock- Konzept (spanisch: Supermanzana) entwickelt, das jetzt auch auf internationaler Ebene Aufmerksamkeit erlangt. Als Teil der Stadtverwaltung führt die Agentur Projekte auf internationaler Ebene durch und erarbeitet Konzepte für neue Mobilität, Stadtplanung, Biodiversität und sozialen Zusammenhalt.

Die Superblocks vereinen all dies: Sie schaffen Raum für sozialen Austausch der Nachbarschaft und verringern Lärm- und Luftverschmutzung durch das Verhindern von Durchfahrtsverkehr. Zudem schafft die Bepflanzung unversiegelte Flächen, die für das ökologische Gleichgewicht von Städten von elementarer Bedeutung sind.

Klicke hier, um die Zusammenfassung des Superblock-Modells in Barcelona auf Englisch nachzulesen.

Superblocks in Barcelona: Gràcia

Soweit die Theorie – aber wie funktionieren die Superblocks vor Ort?

Einer der ersten Bezirke, der 2003 zum Superblock umgewandelt wurde, ist Gràcia. Mit einer hohen Bevölkerungsdichte, schmalen Straßen und zunehmend mehr privaten Fahrzeugen verschwand dort der Raum für Fußgänger:innen. Der Bezirk schloss sich mit der Agencia de Ecologia Urbana zusammen, um eine Lösung zu finden: das Superblock Modell. Mit viel Bürgerbeteiligung wurden die ersten Superblocks in Gràcia umgesetzt.

Das Modell ist simpel: Eine definierte Reihe von Straßen schließt eine innere Zone ein, die für den Durchgangsverkehr gesperrt ist. Nur Anwohner:innen, Rettungsfahrzeuge und Taxis können in das Gebiet einfahren. Für Lieferungen gibt es eine spezielle Regelung.

Quelle: Arch Daily. (Zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

Das Konzept wurde 2010 von UN-Habitat als nachhaltiges Best-Practice ausgezeichnet und erhielt 2011 den BMW Initiative Award. In Gràcia erwartet dich heute eine lebhafte Atmosphäre, die zum Flanieren und Verweilen einlädt. Nachdem zu Beginn noch zahlreiche Anwohnerinnen und Anwohner die Idee ablehnten, ist heute eine Rückkehr zur vorherigen Situation undenkbar.

Klick hier, um dir den gesamten Mobilitätsplan für Gràcia auf Katalanisch anzusehen.

Superillas in Barcelona: Sant Antoni und Poble Nou

Mit der Zeit wurde das Modell der Superblocks weiterentwickelt zu sogenannten „Superillas“, zu Deutsch Superinseln. Es werden nicht mehr nur Häuserblocks verbunden, sondern ganze Nachbarschaften. Seit 2016 sind solche Superinseln in den Bezirken Sant Antoni und Poble Nou entstanden.

Die Superilla in Poble Nou war das erste Pilot-Projekt der Stadtverwaltung von Barcelona. Zunächst wurde die Nachbarschaft kaum in den Planungsprozess integriert und es entwickelte sich eine starke Abwehrhaltung: Zahlreiche Nachbar:innen demonstrierten und reichten persönliche Beschwerden ein, weil Parkplätze wegfielen, Buslinien umgeleitet und Richtungswechsel der Straßen eingerichtet wurden. Die Nachbarschaft organisierte sich in Facebook Gruppen oder Twitter, um gegen die Änderungen zu protestieren. Sie argumentierten, dass sich das Problem der Autos durch die Superilla nur verlagert – seit ihrer Umsetzung gäbe es Staus, wo es vorher keine gab. Auch die Lage sei nicht gut gewählt, denn in dieser Gegend gäbe es nur Büros und nach 18 Uhr sei sie praktisch ausgestorben. Im weiteren Verlauf entwickelte die Stadtverwaltung gemeinsam mit der Nachbarschaft die Pläne für die dauerhafte Umsetzung des zunächst provisorisch umgesetzten Pilot-Projekts. In der Zwischenzeit hatten sich auch Nachbar:innen vernetzt, die das Projekt gut fanden und den neuen Raum verteidigen wollten. 

Die Situation zeigte, wie wichtig es ist, die Nachbarschaft bereits zu Beginn der Planung einzubeziehen. Was in Poble Nou teilweise versäumt wurde, wurde in Sant Antoni verstärkt berücksichtigt: Die Superinsel dort wurde von Anfang an gemeinsam mit den Anwohner:innen sowie dem dort ansässigen Einzelhandel entwickelt und umgesetzt.

Was bewirken Superillas?

Was die Superillas bewirken, merkt man, wenn man selbst durchfährt: Als erstes fällt die wunderbare Ruhe und die entschleunigte Atmosphäre auf. Nachbarn unterhalten sich, Kinder spielen ungestört und toben in den neuen Baumkästen herum. Auffällig ist auch, wie verschieden die Menschen sind, die hier zusammenkommen: Businessleute, Kinder, ältere Menschen, Jugendliche, in Arbeitskleidung oder mit Anzug. Ein Ort, an dem alle gleichermaßen ankommen und sich von der Hektik der Großstadt eine Pause gönnen.

All dies lässt sich aber auch wissenschaftlich belegen: Eine quantitative und qualitative Studie (PDF) der Agentur für Gesundheit in Barcelona hat die verschiedenen Effekte der Superillas untersucht.

Dabei konnten zahlreiche positive soziale Faktoren nachgewiesen werden, so zum Beispiel in Sant Antoni ein verstärktes Gefühl von Sicherheit, Bequemlichkeit und Ruhe. Besonders ältere Frauen vernetzen sich stärker in der Nachbarschaft, vor allem durch den Markt als Teil der Superilla.

Auch eine verbesserte Luftqualität konnte in Sant Antoni bewiesen werden: Es gab 25 % weniger Stickstoff-Schadstoffe seit der Einführung der Superinsel.

Mehr Eindrücke von der Superilla San Antoni gibt es auf der Website der Barcelona International Biennal of Landscape Architecture.

Ein Vorbild für urbane Herausforderungen weltweit

Barcelona bleibt nicht bei den aktuellen Superillas stehen, sondern hat ambitionierte Pläne. So sollen ganze Straßen mit neuen Bäumen und Fußgängerzonen zu „Ejes Verdes”, zu grünen Achsen werden, sodass nach und nach ganz Barcelona zu einer großen „Superinsel” wird.

21 neue grüne Achsen und 21 neue öffentliche Plätze mit Sitzgelegenheiten sollen in der Zukunft das Eixample durchziehen, den quadratisch angelegten Stadtbezirk, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im modernistischen Stil angelegt wurde und für den Barcelona über seine Grenzen hinaus bekannt ist.

Das urbane Grün in den Straßen soll von einem Prozent auf ganze 14 Prozent heranwachsen.

Die Installation von knapp tausend neuen Bänken, Tischen, Spielplätzen und neuen Straßenlaternen ist geplant.

Ab Juni 2022 soll mit der Umsetzung begonnen werden.

Und anderswo?

Die quadratisch angelegte Planstadt in Barcelona bringt Vorteile für die Umsetzung des Superblock Modells. Trotzdem ist die Idee auch auf andere städtische Strukturen anwendbar.  

Wir haben Superblocks schon in Städten mit unterschiedlichen Bebauungsstrukturen umgesetzt. Das Modell funktioniert. Die Menschen sahen die Veränderungen und unterstützten die Idee nicht nur, sondern wurden selbst aktiv. Sie setzten sich dafür ein, die Superblocks beizubehalten, als das Konzept durchaus noch umstritten war.“ 

Cynthia Echave, Agencia Ecologia Urbana

Wie die unterschiedlichen Erfahrungen in Poble Nou und Sant Antoni zeigen, ist eine frühe Zusammenarbeit von Stadtverwaltung und Nachbarschaft wichtig für die erfolgreiche Umsetzung von Superblocks. Und weil sie soziale und ökologische Verbesserungen realisieren, sind Superblocks ein inspirierendes Modell, das Städten weltweit als Vorbild dienen kann.

Auch für Köln? Mehr dazu demnächst.

Der Artikel entstand als Teil des Projektes “Das Gute Leben in den Veedeln” der Agora Köln – mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Umwelt und Entwicklung sowie des Umweltamts der Stadt Köln.

Quellen

VCÖ: Superblocks. Mehr Platz für Grünes und Schönes. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

Municipal Government of Barcelona (2016): Let’s fill the streets with life. Establishing Superblocks in Barcelona. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

Municipal Government of Barcelona: Cutting noise pollution improves health. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

BCN Ecologia: Public Space, Mobility and Accessibility in the District of Gracia (Barcelona). (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

Municipal Government of Barcelona: Superblocks are having positive effects on health and well-being. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022) 

El Periodico (2017): Un centenar de vecinos se manifiesta contra la supermanzana del Poblenou. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

El Periodico (2016): Quejas por los atascos que provoca la „Superilla“. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

Municipal Government of Barcelona (2022): Superilla Barcelona. Presentacio Projectes Executius. (zuletzt aufgerufen am 22.02.2022)

6 Kommentare

  1. Cristiano Gandara sagt

    Sorry aber Barcelona? In Spanien die Stadt Pontevedra existiert das schon seit 20 jahren Auto frei Höchstgeschwindigkeit für lieferanten 7 km h

    • buenvivir sagt

      Ja, das stimmt! Allerdings sind Pontevedra (80.000 Einwohner*innen) und Köln (1 Million) nicht wirklich vergleichbar, was Pendelverkehre, Tourismusverkehre etc. angeht, bei Barcelona sieht das schon etwas anders aus.

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