Da sag’ noch einmal wer, das Großstadtleben sei anonym und unpersönlich! Viele Menschen engagieren sich für Gemeinschaft und das Gute Leben im Veedel, so auch unsere Veedelsbotschafterinnen und –koordinatorinnen. Unzählige Gespräche mit Nachbar:innen und vielfältige Aktionen vor Ort machen sie zu Expertinnen für ihr Veedel. Was läuft gut, wo können wir noch anpacken und wie erklärt man dieses Berufsbild der eigenen Oma? Auf ein Kölsch im Vrings- und Pantaleonsviertel mit Veedelskoordinatorin Sabine Stadtländer im zweiten Teil unserer Portrait-Reihe zu den Agora Veedelsbotschafterinnen und –koordinatorinnen.
Wo wohnst du und was ist dein Lieblingsdetail im Veedel?
Seit 1991 wohne ich in einem 130 Jahre alten Haus in der Schnurgasse, das über keinen rechten Winkel verfügt und immer wieder Überraschungen bereit hält. Damals lebten viele Arbeiter:innen der Schokoladenfabrik Stollwerck hier, zwei Familien auf 56 Quadratmetern, Toilette auf dem Hof und Samstags wurde eine Zinkwanne in die Küche hochgeschleppt zum Baden.
Heute ist es etwas komfortabler 🙂 Vor dem Haus steht ein großer Baum und hinten haben wir ein begrüntes Hinterhöfchen. Wir schauen auf den riesigen Klostergarten, der das Klima sehr angenehm beeinflusst und wirklich wunderschön anzusehen ist. An der Ecke ist Onkel Tans Kiosk und der Besitzer Fedai engagiert sich sehr für unsere Nachbarschaft. Die Büdchenfeste sind legendär.
Was macht dein Veedel besonders und wo liegen Herausforderungen?
Das Pantaleonsviertel, wo ich wohne, ist im Gegensatz zum Vringsveedel sehr verschlafen. Es gibt dort sehr viele Schulen. Nur wenn die Schüler:innen da sind wird es lebhafter.
Es gibt wenig Verkehr, was den Vorteil hat, dass man mitten in der Innenstadt bei offenem Fenster schlafen kann, aber es gibt leider doch sehr viele Autos, die viel Raum einnehmen. Viele davon werden so gut wie nie benutzt, weil man in der Wohnlage in der Regel kein Auto braucht. Da gibt es viel Luft nach oben, Begegnungräume zu schaffen. Zum Beispiel mit einem richtigen Platz, mit Bäumen und anderen Dingen, die Aufenthaltsqualität schaffen. Die Bäume gibt es schon 🙂 Eine Veedelsgarage wäre noch schön.
Es gibt kaum Geschäfte, wenig Büros, Handwerk und Gewerbe. Und nur wenige Treffpunkte. Kein Cafe, nur zwei Kneipen, kaum Restaurants, die Menschen anziehen. Von mir aus könnte es deutlich mehr Menschen draußen im öffentlichen Raum geben!
Wie sieht deine Arbeit als Veedelskoordinatorin aus?
Seit Sommer 2021 bin ich offiziell Veedelskoordinatorin für Agora, aber eigentlich habe ich das schon gemacht, so lange ich hier wohne. Die Unterstützung von einer in solchen Dingen erfahrenen Initiative ist allerdings Gold wert.
In erster Linie bin ich im Veedel unterwegs. Ich spreche mit Menschen auf der Straße denen ich auf meinen Wegen begegne, viele kenne ich, andere nicht. Oft frage ich: Was können wir alle tun, damit das Leben hier besser wird? Den meisten Menschen fehlen Begegnungräume, eine Bank auf dem Weg zur Severinstraße für ältere Menschen, Platz zum Spielen für die Kinder, mehr Bäume, mehr Grün, weniger Autos, ein Cafe. Eigentlich passt das mit meiner Vision eines autofreien Platzes gut zusammen. Aber die Motivation zum Anpacken ist für Viele ein zu großer Schritt. Deswegen ist es so wichtig, miteinander zu sprechen und sich zu vernetzen, in Kontakt zu bleiben.
Was hat das Veedel vom Veedelstreffen?
Die meisten Menschen, die hier leben, wissen gar nicht was für einen Schatz an Initiativen, Organisationen und engagierten Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen wir hier haben. Dafür das Bewusstsein zu schärfen ist das Ziel.
Wie hat deine Arbeit sich bisher auf das Veedel ausgewirkt?
Unser Highlight ist das Martinsplätzchen, das im Rahmen des Agora-Projekts Mut zur Lücke entstanden ist. Trotz aller Widrigkeiten ist dort ein Platz der Begegnung entstanden, den ich nicht mehr missen möchte: Treffpunkt, Kommunikationsinsel, Ruhepol und Feierort.
Ich finde es immer wieder schön Menschen zusammenzubringen, deren Leben danach besser ist als vorher. Kleines Beispiel: Letzten Winter zog eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind im Grundschulalter nach einer harten Trennung in unser Veedel. Kurz darauf musste sie an zwei Tagen in der Woche früher arbeiten, was sich nicht mit den Schulzeiten ihres Sohnes vereinbaren ließ. Ich vermittelte den Kontakt zu einer kinderlieben Nachbarin, die nach dem Tod ihres Mannes sehr einsam war. Sie kam an den beiden Tagen in deren Wohnung und brachte den Sohn zur Schule.
Mittlerweile ist daraus eine Freundschaft entstanden. Mittwochs holt sie ihn von der Schule ab und sie unternehmen etwas und die Mutter kann eine Runde laufen gehen nach der Arbeit. Oft wird danach noch gemeinsam gekocht und gegessen. Eine richtige Ersatz-Oma. Zitat: “So viel Familie, wie hier im Veedel, hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt!”
Welche Projekte hast du begleitet und/oder umgesetzt?
Das Pantaleonsviertel wurde schon immer leicht übersehen, dabei gibt es auch hier viele Möglichkeiten. 2019 traf die Agora mit “Mut zur Lücke” den Zeitgeist: Begegnungsräume schaffen, miteinander ins Gepräch kommen, den öffentlichen Raum für Menschen nutzbar machen, Autoverkehr reduzieren.
Mit dem Verein “Miteinander im Pantaleonsviertel” bauten wir mit Untersützung von Agora und der Stadt Köln ein Parklet, also Bänke, wo sich Menschen einfach zusammensetzen können. Hierbei galt es, den Gegenwind einiger Autofahrer:innen auszuhalten und auch den nicht immer sachlichen Diskurs, da dafür zwei Parkplätze geopfert wurden.
Beim Veedelstreffen letztes Jahr zeichnete sich dann ab, dass sich viele Menschen für Urban Gardening interessieren. Deshalb haben wir diesen Sommer einen Spaziergang angeboten, der auf reges Interesse gestoßen ist und auf dem wir verschiedene Projekte in den Veedeln angeschaut haben.
Wie grenzt sich deine Arbeit als Veedelsbotschafterin von der Sozialraumkoordination ab? Gibt es da nicht schon genügend Angebote?
Ich wüsste nicht, dass es im Pantaleonsviertel so etwas bisher gibt. Und man kann immer mehr tun und Dinge verbessern.
Was steht als nächstes an?
Neben der “kleinen” alltäglichen Vernetzung, die ich für enorm wichtig halte, gibt es im Vrings- und Pantaleonsviertel viele wohnungslose Menschen. Ich möchte den Blick der Nachbarschaft schärfen und die Menschen besser integrieren und mit Initiativen wie dem Vringstreff, mit Housing first und Gubbio enger zusammenarbeiten. Die warme Tafel von Frank Lange, die für Menschen kocht, die sich keine warme Mahlzeit leisten können, möchte ich stärker unterstützen.
Ich freue mich auf Aktionen im öffentlichen Raum. Beim Büdchenfest haben wir acht Parkplätze möbliert, mit Pflanzen und Teppichen geschmückt. Es ist unglaublich, wie schön unsere Stadt mit so wenig Aufwand sein kann und wie toll die Menschen das annehmen und wieviel Platz dann auf einmal da ist. Das schärft den Blick für das, was möglich ist.
Was machst du, wenn du nicht gerade im Veedel tätig bist?
Ich arbeite an der TH Köln, fahre sehr gerne Fahrrad und mag die Gartenarbeit in meinem Schrebergarten, in der Natur zu sein.Ich bin aber auch gerne unter Leuten und gute Kölsche Musik höre ich, am liebsten live.
Wer mehr wissen oder direkt mit anpacken möchte, ist herzlich zum Agora Veedelstreffen im Vrings- und Pantaleonsveedel am 10.11.22 im Bürgerhaus Stollwerk eingeladen.
Am 10.11. war ich beim Veedelstreffen und war ueberrascht, wieviele Initiativen es in der Suedstadt gibt, die das urbane Leben besser gestalten wollen: Baeume giessen, Wohnraum wagen, Lebensmittel retten, gemeinsame Gartenarbeit, um nur einige zu nennen.
Sabine war die Koordinatorin und hat das wirklich gut gemacht. Ich bin nach 16 Jahren wieder neu hier in Koeln und bin inspiriert von so viel Engagement.